„Sind Frauen nur die zweite Wahl ?”
 
Ingrid Schemer,53, Pastorin einer Vineyard-Gemeinde in Neunkirchen

Es ist interessant, aber nicht einfach,  etwas über das Thema „Frauen in Leiterschaft“ zu schreiben. Interessant und nicht einfach - warum?

Nun, ich habe zu diesem Thema gerade zwei Bücher verschiedener Autoren vor mir. Der eine kommt aufgrund seiner theologischen Studien zu dem Schluß, daß es nicht nach Gottes Willen ist, daß eine Frau in der Gemeinde  eine leitende Funktion hat. Der andere kommt aufgrund seines Studiums zu der Erkenntnis, daß Gott Frauen im AT wie im NT auch zu leitenden Diensten befähigt und berufen hat. Das sagt alles! Diese, auch heute noch für viele Christen konfliktreichen Thematik, hat mich von Kindheit an beschäftigt.

Es gab Zeiten  in meinem Leben, in denen dieses Thema sehr schmerzhaft für mich war. Als ich 14 Jahre alt war, hatte ich eine Erfahrung mit Gott, die mich tief berührt und verändert hat. Ich spürte, wie Gott seine Hand auf mich legte und wußte von diesem Zeitpunkt an, daß ich Jesus dienen soll. Da ich ein Mädchen war dachte ich, ich muß Missionarin werden um Jesus dienen zu können. Als Missionarin konnte man  jeden Dienst tun – auch als Frau!

In dieser Zeit hielt ich meine erste „Badewannen - Predigt“. Ich saß in der Badewanne und predigte vor einer imaginären Menschenmenge und spürte wie Gottes Geist auf mich kam. Damals wäre dies in der Realität nicht möglich gewesen und es dauerte noch Jahre, bis ich die erste Predigt vor Menschen hielt. Ich wurde auch nicht Missionarin. Ich heiratete, bekam Kinder und über viele Jahre managte ich einen 7 – Personenhaushalt. Aber das Wissen, daß Gott mich berufen hat ihm zu dienen, war tief in meinem Herzen verwurzelt und beeinflußte meine Entscheidungen und alles was ich tat. Das lies mich nie mehr los. So nahm ich jede Gelegenheit wahr, in der ich Jesus dienen konnte.

Mein Denken war über viele Jahre geprägt von einem falschen Verständnis in Bezug auf Unterordnung. Ich glaubte, ohne mir dessen wirklich bewußt zu sein, daß für Gott ein Mann mehr wert ist als eine Frau; daß Frauen Gott nur dienen sollten, wenn kein Mann da ist. Frauen waren quasi nur die zweite Wahl. Natürlich war es dann auch von größerer Bedeutung, wenn sich ein Mann zu Jesus bekehrte, als eine Frau. Dies hätte ich nie so gesagt. Aber ganz tief in mir empfand ich so. Gott hat sich dann um mich gekümmert.

Eines abends lag ich im Bett und machte mir Gedanken über dieses Thema. Da sah ich eine Hand, die zwei pulsierende, lebendige menschliche Herzen hielt. Eines sah aus wie das andere. Ich hörte ganz deutlich die Frage: “Ingrid, was denkst du: Eines der Herzen gehört einem Mann, das andere einer Frau, beide gehören mir. Welches, glaubst du,  ist mir wertvoller?“ Ich fing an zu weinen und antwortete: „Herr, sie sind dir beide gleich viel wert!“ 

Dieses Bild und die Frage haben mir mehr geholfen als alle theologischen Exkurse zu diesem Thema. Ich erkannte die Wahrheit, daß es wirklich vor Gott kein Ansehen der Person gibt. Daß es für ihn auch keinen Unterschied macht ob eines seiner Kinder männlich oder weiblich ist. Er gießt seinen Geist über Männern und Frauen in gleicher Weise aus. Er beruft, befähigt und begabt sie in gleicher Weise. Er teilt Gaben zu wie er will – auch die Gabe der Leiterschaft. Es ist eine Tatsache, daß nicht jeder Mann Leitungsfähigkeiten hat, auch nicht jede Frau. Jeder Mensch, egal ob Mann oder Frau ist aber vor ihm verantwortlich, mit den anvertrauten Gaben Jesus in Treue zu dienen.

Im Laufe der Jahre entdeckte ich viele Frauen in der Bibel und in der Kirchengeschichte, die Gott in Freiheit dienten.Ganz besonders beeindruckte mich das Frauenbild der Debora im AT. Sie war eine verheiratete Frau, lebte in einer vom Patriachat geprägten jüdischen Gesellschaft und Gott berief und befähigte sie, als Richterin, zum höchste Amt im Staat. Männer und Frauen kamen zu ihr um sich von ihr Recht sprechen zu lassen. Sie war eine Prophetin. Gott gebrauchte sie, um Barak, dem Feldhauptmann Israels Mut zuzusprechen und ihn auf seinen Auftrag hinzuweisen. Sie scheute sich nicht als Frau mit Barak und der Armee Israels in den Kampf zu ziehen. Eine starke Frau! Besonders beeindruckend ist das Lied, das sie nach dem Sieg mit Barak zusammen im Wechselgesang singt. Da ziehen ein Mann und eine Frau in einen Kampf, siegen gemeinsam, singen gemeinsam, achten, respektieren sich in ihrem Auftrag und ihrer Berufung. Barak beschreibt den Zustand Israels bevor Debora regierte: „Es herrschte Chaos und Verwüstung im Land, .... bis du  Debora, aufstandest, bis du aufstandest, eine Mutter in Israel“. Debora singt: „Mein Herz ist mit den Gebietern Israels.....“. Sie wird mit zu den Helden Israels gezählt. Wirklich eine beeindruckende Frau mit starken Leitungsfähigkeiten und einem demütigen Herzen. Sie war im Volk anerkannt als eine Frau, die von Gott zum Wohl des Volkes Israel eingesetzt worden war. 

Beeindruckt haben mich auch Biographien von Frauen wie Maria Woodworth–Etter und Amiee Semple McPherson, Gemeindegründerinnen, die mit Vollmacht den Dienst Jesus taten.Aber auch Frauen in der älteren Kirchengeschichte, wie Teresa von Avila. Durch ihr konsequentes Leben aus der Begegnung mit Jesus heraus, wurde sie zur Kirchenlehrerin und Ordensreformatorin.

Auch Katharina von Siena, die im 14.Jahrhundert lebte, war eine Frau, die für ihre leidenschaftliche Liebe zu Jesus und ihre Barmherzigkeit gegenüber Benachteiligten und ihre Demut  bekannt war. Sie besaß ungewöhnliche geistliche Urteilsfähigkeit, so daß sie Einfluß auf Fürsten, kirchliche Würdenträger und sogar auf den damaligen Papst Gregor XI hatte. All diese Frauen mußten sich über die Vorurteile und Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzten um dem Auftrag Jesus zu folgen. Sie waren Frauen mit Leitungsgaben und Gott bestätigte ihren Dienst gegen alle Widerstände, mit denen sie zu kämpfen hatten. 

Als Gott mich vor die Aufgabe stellte eine Gemeinde zu gründen und zu leiten, war für mich die Frage ob ich das als Frau darf oder nicht darf geklärt. Ich darf! Ich darf alles tun, was er mir sagt! Mir war klar, was eigentlich für jeden Christen eine Selbstverständlichkeit sein soll: Ich muß Gott gehorchen. Ich muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.Dieser Schritt brachte viel Veränderung – auch in unsere Ehe. Mein Mann war schon in recht früh in seinem Beruf in leitender Position. Als Leiter in seinem Fachbereich gehörte es zu seinen Aufgaben Mitarbeiter zu schulen und zu fördern.

Er konnte zum damaligen Zeitpunkt nicht sehen, daß Gemeindegründung auch sein Auftrag ist. Er war auch zu sehr in seinem Job eingespannt. Oft sagte er zu mir: „Gott hat dir diese Fähigkeiten und Gaben  gegeben und nicht mir.“ Das machte das Ganze nicht einfacher. Jeden Sonntag im Gottesdienst hörte er mich nun predigen und keiner kennt mich ja so gut wie er! Er war in den ersten Jahren mein strengster Kritiker. Aber ich entdeckte, und lernte zu schätzen, daß er viele Situationen und Menschen gut einschätzen konnte. Er stand aber auch hinter mir und lobte mich. Was uns oft Mühe machte war weniger die Tatsache, daß ich eine Gemeinde leite, sondern die Reaktionen, die mein Mann manchmal außerhalb der Gemeinde wahrnehmen konnte.

Die stumme Frage: „Wieso machst du das denn nicht, du bist doch schließlich der Mann“. Das kratzt natürlich unwahrscheinlich am männlichen Ego. Tatsache ist, daß mein Mann an der Gemeindegründung genauso beteiligt war wie ich. Sein Beitrag unterschied sich nur von meinem. Er sorgte durch seine Arbeit dafür, daß ich finanziell recht unabhängig war und der Gemeinde in der ersten Zeit unentgeltlich dienen konnte. Er war einverstanden, als ich meinen Job als Therapeutin, in dem ich etwa zehn Jahre tätig war, reduzierte und wir dadurch finanzielle Einbußen hatten. Vor allem war er bereit in Kauf zu nehmen, daß viel Zeit und Kraft von mir in die Gemeindearbeit floß.Heute ist mein Mann in viele Bereichen innerhalb der Gemeinde tätig.

Er hätte sich das selbst nie träumen lassen, daß Gott auch ihn gebrauchen kann und will. Frauen in Leiterschaft sind durchaus in der Lage auch Männer zu motivieren und zu fördern.  Wenn Gott Gnade schenkt, sogar den eigenen Mann.

Ingrid Schemer Artikel, erschienen im Januar 2002, im Magazin „equipped“ der Vineyard  -Bewegung; mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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