Leicht wie ein Schmetterling

von Beate Nordstrand

Wie man lernt, gut für sich selber zu sorgen

Ich hatte gehofft, dass es leichter sein würde, das Erwachsensein. In meinen vagen Vorstellungen vom Leben als Frau und Mutter hatte ich von sonnigen Tagen auf der Terrasse geträumt, wo ich den Sommer genieße und meine niedlichen Kinder beim Spielen beobachtete. Höchstens ein Rasenmäher würde mein Idyll stören.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Sommertage gab es weit seltener als angenommen. Die Kinder waren ganz sicher nachts am niedlichsten, wenn ich bereits müde in meine Kissen gesunken war. Und unserem Garten sah man es schon von weitem an, dass hier dringend eine ordnende Hand vonnöten war. Nämlich meine. Arbeit, wohin ich schaute.

Die Anforderungen meines geschäftigen Alltags als Hausfrau und Mutter mit Nebenjob ließen ein langsameres Tempo kaum zu. Die Erwartungen meiner Umgebung an mich und meinen Einsatz fühlten sich oft an wie ein Korsett, in das ich entweder passte oder halt nach Luft schnappen musste. Mit Terminplaner, To-Do-Listen und immer neuen Vorsätzen versuchte ich, mein Leben in den Griff zu bekommen, was mir leidlich gut gelang.

Doch permanent verspürte ich eine undefinierbare, tiefe Sehnsucht in mir, die sich auch durch beste Organisation nicht stillen ließ. Immer wieder stieg in mir die Frage hoch: Ist dies das Leben nach Gottes Plan für mich? Sieht so das erfüllte, Leben als Frau und Mutter aus? Oder mache ich grundsätzlich etwas falsch? So fühlte es sich nämlich allzu oft an.

Leichtigkeit im Alltag
Eines Tages stolperte ich im Biologiebuch meines Sohnes über die Metamorphose der Schmetterlinge. Wie sich im Anfangsstadium das Ei zu „kleinen Raupe Nimmersatt“ weiterentwickelt, über die Umbauprozesse im Inneren der Larve, bei denen sich schließlich alle Organe auflösen, und wie sich in der Puppe die wundersame Verwandlung zum Schmetterling vollzieht. Bevor der fertige Falter endlich fliegen kann, muss er sich unter großen Mühen und alleine ans Tageslicht kämpfen. Bekäme er Hilfe von außerhalb, würden sich seine Flügel nicht spannen und er wäre unfähig zu fliegen.

Seit diesem Tag fühle ich mich mit dem Schmetterling verbunden. Auch meinem Leben hat Gott immer wieder neue Umbauprozesse und Lektionen verordnet, ohne die ich nicht fähig sein würde, das Leben zu führen, zu dem er mich bestimmt hat. Je bereitwilliger ich die verschiedenen Lebensphasen annehme, desto früher würde ich in der Lage sein, zu fliegen. Längst nicht jeder Raupe gelingt die Entwicklung zum Schmetterling. Manche Larven werden gefressen und immer wieder findet man an Bäumen und Sträuchern vertrocknete Puppen.

Ich sehnte mich nach der Leichtigkeit des Schmetterlings. Deshalb nahm ich mir vor, weder Gott noch mir selber im Weg zu stehen, indem ich ständig murrte oder mich weigerte, die anstehenden Lektionen zu lernen. Oft stieß ich beim Bibellesen auf die Worte „halsstarrig“ oder „störrisch“. Mir war klar, dass ich so nicht weiterkommen würde. Als abschreckendes Beispiel führte ich mir das Volk Israel vor Augen, das für seine Wüstenwanderung vierzig Jahre gebraucht hatte, obwohl das Ziel gerade mal elf Tagesstrecken von ihnen entfernt war. Ein Umweg von vierzig Jahren.

Ich lernte, die Herausforderungen und Probleme des täglichen Lebens zu akzeptieren, um darin zu wachsen und meinen „Umbauprozess“ wenn möglich zu beschleunigen. Was ich wollte, war Fliegen. Was ich auf keinen Fall wollte war, als vertrocknete Puppe an einem Strauch hängen zu bleiben.

Königinnenqualität
Von jeher stand für mich außer Frage, dass Gott einen persönlichen Plan für mich hat. Die Einzige, die diesen Plan verwirklichen kann, bin ich. Und genauso bin ich auch die einzige Person, die mich aus dem Willen Gottes herauskatapultieren kann.

Statt meine Umgebung für meine Umstände und meinen Seelenzustand verantwortlich zu machen, begann ich gerade in schwierigen Situationen darauf zu vertrauen, dass Gott an meinem Charakter arbeiten wollte .Biblische Beispiele wie das Leben der Abigail (1.Samuel 25) oder die Erfahrungen von Josef (1.Mose 37-50) zeigten mir: Gott kann Drucksituationen benutzen, um Königinnenqualität in Menschen zu bewirken.

Zunehmend widerstand ich der Versuchung, es allen recht machen zu wollen. Ich achtete verstärkt darauf, dass das, was ich tat, nach bestem Wissen und Gewissen mit dem Plan Gottes für mich übereinstimmte und dass ich mit meinem Mann in diesen Fragen einer Meinung war. Ich machte keine Alleingänge mehr, was mich schließlich ungemein entspannte. Ich lernte, Nein zu sagen zu den vielfältigen Anfragen meiner Umgebung, deren Erwartungen an eine tüchtige Pastorenfrau nicht unerheblich waren.

Ich erinnere mich noch gut an einen Hauskreis, als wir den Begriff „tote Werke“ definierten. Mein flammender Appell, dass nicht jede lobenswerte Aufgabe auch getan werden müsse, stieß an diesem Abend auf verwundertes Unverständnis. Doch wer ein Schmetterling werden will, kann nicht gleichzeitig als Biene punkten.

Im Epheserbrief las ich: „Gott hat uns in Christus Jesus neu geschaffen, damit wir zu guten Werken fähig sind, wie er es für unser Leben schon immer vorgesehen hat.“

Was bedeutet dieses „vorgesehene Leben?“ wohl für mich, fragte ich mich. Einige solcher Werke lagen ganz nah: in meiner Familie und in der Frauenarbeit unserer Gemeinde. Doch darüber hinaus begann ich, mir bewusst Zeit für meine Weiterbildung und die Entfaltung meiner Begabungen zu nehmen. Das machte mich dankbar und ausgeglichen. Ich bin es wert, in mich zu investieren. Dieser Einsatz brachte in jeder Hinsicht Gewinn.

Neue Kraft
Verbunden mit der Entscheidung, mich mit Gott und meinem Mann abzustimmen, was ich tue und was ich nicht tue, darf ich neue Wege einschlagen und entdecken, wie Gott mich gerade mit meinen persönlichen Stärken und Gaben gebraucht.

Trotz Familie, Beruf und Gemeindeterminen nehme ich mir Zeit, meine Seele baumeln zu lassen. Zeit für Sport, freundschaftliche Begegnungen und Kreativität. Dabei habe ich festgestellt, dass man mir als berufstätiger Frau bereitwilliger Freizeit zugesteht als damals, als ich „nur“ Hausfrau und Mutter war. Gebraucht hätte ich diese Freiheit auch zu jener Zeit dringend. Heute weiß ich, dass es zum Erwachsensein dazu gehört, auch gut für sich selber zu sorgen.

Vor einiger Zeit war ich bei einer Großfamilie mit acht Kindern zu Gast. Ich staunte über die wunderschöne Einrichtung, die kreative Dekoration, Musik zum Frühstück – volles Verwöhnprogramm für die Seele. Die Frau des Hauses erklärte mir, dass sie sich bewusst eine Oase geschaffen hatte, um bereits durch die sichtbare Schönheit um sich herum aufzutanken. Eine kluge Frau.

Nach einer geschäftigen Woche gönne ich mir heute den Sonntag bewusster als je zuvor als Tag zum Ausruhen und Kraft-Schöpfen. Der Besuch des Gottesdienstes ist mein persönliches Highlight der Woche. Ich genieße die Gegenwart Gottes  zusammen mit den anderen Christen. Hier laden sich meine Akkus wieder auf. Nach dem Gottesdienst nehme ich mir Zeit, mich mit Gemeindemitgliedern auszutauschen. Und nicht selten habe ich erlebt, dass durch ein schlichtes Gespräch oder Gebet ein Knoten platzte, mal beim Gegenüber, mal bei mir.

Immer wieder klopft die Versuchung an die Tür, den freien Sonntag auszunutzen und Dinge zu erledigen, zu denen ich in der Woche nicht gekommen bin. Aber es gelingt mir immer öfter, auch mal etwas liegen zu lassen. Die Arbeit läuft nicht weg, habe ich festgestellt. Sie wartet auch bis Montag.

Inzwischen bin ich viele Meilen als Schmetterling geflogen und habe das unbeschwerte Gefühl der Leichtigkeit verspürt, mich mühelos im Willen Gottes zu bewegen. Habe es genossen, die anstrengende Zeit im Kokon hinter mir zu lassen und einfach in meinem Element zu sein. Doch auch solchen Zeiten folgten neue Herausforderungen und „Umbaumaßnahmen“. Deshalb tat ich gut daran, mich immer wieder in den Kokon zu begeben.

Heute weiß ich: Zeiten der Leichtigkeit wechseln sich ab mit Phasen des Umbaus und der Veränderung. Gott traut mir zu, diese Prozesse zu durchlaufen, nicht um mich zu plagen, sondern um ein maximales Maß an innerer Schönheit und Qualität in mir hervorzubringen. Zweifellos: Fliegen ist schöner. Aber die Umbaumaßnahmen im Kokon lohnen sich!

Beate Nordstrand