Die Rückkehr des Bräutigams

von Barbara Clifton

Es war der höchste Preis, der je für eine Braut bezahlt wurde und der jemals bezahlt werden wird. Alles Geld, alles Gold, alle Edelsteine, alle Schätze und der ganze Reichtum der Welt zusammengenommen können nicht einmal eine Winzigkeit davon aufwiegen. Unfaßbar, unvorstellbar – aber wahr! Und der Preis wurde vom Bräutigam total bezahlt.

Um ihn zu bezahlen, mußte er sein Reich des Lichtes, des Lebens und der Liebe verlassen und in das Reich der Dunkelheit, des Todes und des Hasses gehen. Er, der unvorstellbar Reiche, mußte in unsagbarer Armut leben. Aber die Liebe zu seinem Vater und die Liebe zu seiner Zukünftigen drängte ihn unaufhaltsam. Er war bereit, alles aufzugeben und den Preis für die Braut zu zahlen: sein kostbares, schuldloses Blut! Der Bräutigam bezahlte mit nicht weniger als seinem Leben für seine Braut – für Dich und mich!

Wie sieht nun dieser Bräutigam aus?

Nicht der kleinste Fehler ist an ihm zu finden. Vollkommen rein, edel und kostbar ist sein Blut, das er als Lösegeld für viele gab. Niemand gleicht ihm an Schönheit, Pracht, Majestät und Stärke. Sein strahlendes Gesicht reflektiert die Herrlichkeit Gottes. Die herabwallenden, pechschwarzen Locken bezeugen seine nie dahinschwindende Jugend und Kraft. Schaut man in seine Augen, so blickt man in ein tiefes Meer der Treue, Liebe und Barmherzigkeit. Wie verzückend und betörend ist der himmlische Duft, den er verströmt! Jedes Wort, das über seine Lippen kommt, ist wie ein Pfeil, gespickt mit Liebe, Trost und Barmherzigkeit, der mitten ins Herz trifft.

Auf seinen gewaltigen Schultern trägt er das ganze Universum. Seine starken Hände wenden jede Not und Krankheit ab, befreien aus jeder Art von Abhängigkeit und zermalmen jedes böse Werk. Ein Kunstwerk von Elfenbein, bedeckt mit Saphiren ist sein Leib; seine Schenkel sind Säulen von weißem Marmor, die für alle Zeite unerschütterlich fest stehen. Seine Gestalt ist gewaltig wie der Libanon, hochgewachsen wie die Zedern; sein Gaumen ist lauter Süßigkeit, und alles an ihm ist lieblich . – Also ein Mann, von dem jede Frau träumt!

Und wie sah die Braut aus?

Zerschunden, nackt, schmutzig, böse und übelriechend nach all dem Unrat, in dem sie haust, gebunden und gefangen in Tod, Lüge und Krankheit, verloren und verlassen, lieblos, nur für sich selbst lebend – gänzlich unattraktiv und nicht begehrenswert. Trotzdem verlangte den Bräutigam so sehr nach ihr, daß er den Preis für sie bezahlte – den Preis für Dich und mich! Und als ob das nicht schon mehr als genug wäre. – Nein! – Er gab ihr auch noch herrliche Gaben. Nachdem er sie in seinem eigenen Blut von Schuld rein gewaschen und das Blut, das an ihren Händen klebte, weggespült hatte, badete er sie in Wasser und salbte sie mit Öl. Er bekleidete sie mit einem strahlend weißen Gewand, gab ihr sich selbst: sein eigenes Leben, seine Gerechtigkeit, seine Freude und seinen Frieden. Er gab ihr seine Schönheit, gab ihr Gesundheit, gab ihr Wahrheit, gab ihr ein neues Herz, gab ihr Hoffnung und Zukunft; gab ihr ewigen Reichtum. Er machte sie zu seiner Königin und Priesterin und gebot ihr, sich jederzeit für seine Wiederkunft bereitzuhalten. Aber den Tag und die Stunde teilte er ihr nicht mit. Dafür stellte er ihr seinen besten Freund zur Seite, der die Braut auf seine Wiederkunft vorbereiten sollte.

Die Zeit der Rückkehr

kam ganz plötzlich. Geschmückt und mit einer Krone versehen, in Begleitung seiner Freunde, Diener und Musikanten kam der herrliche Bräutigam, um seine Braut endlich zu sich zu nehmen. Wie hatte er diesen Tag herbeigesehnt! Er konnte es kaum abwarten, ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen; ihr, der heiß Geliebten, für die er den Preis bezahlt hatte – den Preis für Dich und mich!

Die erste Braut

Vollkommen unvorbereitet und überraschend brach dieser Tag über sie herein. Die Warnungen des Freundes des Bräutigams hatte sie nicht ernst genommen. Sie wollte zunächst noch ein wenig ihr Leben leben und ihr Vergnügen haben. So legte sie das unbezahlbare, kostbare, weiße Kleid ab und legte das Kleid der Welt an. Sie stürzte sich in die Vergnügungen und Annehmlichkeiten der Welt. Was der Freund des Bräutigams zu ihr sagte, interessierte sie ebensowenig wie der Liebesbrief, den ihr Bräutigam ihr gegeben hatte. Es nervte sie, daß man sie immer wieder auf die geschriebenen Worte ihres Bräutigams hinwies. Es ging in ihr eines Ohr ‘rein und zum anderen ‘raus. Sie hatte ja so viel Zeit. „Wer weiß, wann der Bräutigam kommen wird“, sagte sie sich immer wieder. „Da reicht es, wenn ich mich noch kurz vorher schnell zurecht mache.“

Allmählich, zog sich der Freund des Bräutigams zurück. Jetzt war er da; und es blieb keine Zeit mehr. Da sie die Nacht durchgefeiert hatte, ging sie übermüdet mit tiefen Augenrändern und unsicheren Schritten aufgrund ihres Alkoholkonsums auf ihn zu. Ihr Kleid war vollkommen schmutzig und zerrissen. Ihr Haar roch stark nach Rauch, und ihre Fingernägel waren vom Nikotin gelbgefärbt. Mit Männern hatte sie nicht nur reichlich geflirtet, aber sie hoffte, daß ihr Bräutigam darüber hinwegsehen würde. So ging sie auf ihn zu, stolperte und stieß ein lautes Sch… hervor. Der Bräutigam fing sie auf. Zum ersten Mal blickte sie in sein tränenüberströmtes Gesicht, und er sagte zu ihr: „Ich kann dich leider nicht mitnehmen!“

Die zweite Braut

Sie konnte es nicht fassen. Diesen Tag gab es wirklich. Und der Bräutigam kam, um ausgerechnet sie abzuholen. Sie fühlte sich doch immer so schmutzig und unwürdig. Diese Liebe, von der ihr Bräutigam in seinem Brief schrieb und an die sie sein Freund immer wieder erinnerte, konnte sie für sich nicht annehmen. Damit war doch nicht sie gemeint. Nein, alle anderen, aber nicht sie! Und die Gaben wagte sie erst gar nicht in Empfang zu nehmen. Wer weiß, was sie das kosten würde. Umsonst ist nichts, außer der Tod und der kostet das Leben. Das wußte sie doch genau von ihrem früheren Leben. All das Bitten und gute Zureden des Freundes half nichts. So oft wollte er ihr den Charakter des Bräutigams, seine grenzenlose Liebe und Güte zeigen. Vergeblich!

Und so zog er sich langsam und allmählich zurück. Auch sie legte ihr herrliches, weißes Kleid ab und wählte ein Kleid, das ihr angemessen schien. Mit gesenktem Haupt ging sie dem Bräutigam entgegen, grau in grau, langsam und schleppend, den Geruch der Armut und Minderwertigkeit verströmend. Als sie schließlich vor ihm stand und wagte, ihren Kopf zu erheben, blickte sie in das tränenüberströmte Gesicht des Bräutigams, und er sagte: „Ich kann dich leider nicht mitnehmen!“

Die dritte Braut

„Na endlich ist er da! Wurde auch Zeit! Der kann auf mich und meine Werke stolz sein. Und wie schön ich bin. Ich habe mir wirklich ein tolles Kleid ausgesucht. Auf die Ratschläge dieses Freundes kann ich gut verzichten. Wo ist der überhaupt? Jetzt fällt mir erst auf, daß er gar nicht mehr da ist. So was, der wollte mich doch immer zum Lesen dieses Liebesbriefes drängen und mir erklären, was mein Bräutigam damit meint. Als ob ich nicht einen gesunden Verstand und eine ausgezeichnete Bildung hätte. Nun ja, schreite ich ‘mal auf meinen Zukünftigen zu.“ Hoch erhobenen Hauptes schritt die Braut, von der ein unerträgliches Flair von Arroganz ausging, ihrem Bräutigam entgegen. Als sie vor ihm stand, erschrak sie. Sein Gesicht war tränenüberströmt. Allzu deutlich war zu sehen, daß es keine Freudentränen waren. Sie traute ihren Ohren nicht, als sie ihn sagen hörte: „Ich kann dich leider nicht mitnehmen!“

Die vierte Braut

Wie hatte sie auf diesen Tag gewartet. Endlich, endlich kam ihr Geliebter, ihr einziger. Was für einen Preis hatte er für sie bezahlt. Sie, die das alles gar nicht verdiente und sich nie verdienen könnte. Umsonst! Kaum zu glauben! Umsonst, aber wahr!

Wie schlug ihr das Herz vor lauter Liebe bis zum Hals. Dieses wunderbare Kleid, die Gaben und dieser Freund. Er war zu ihrem besten Freund und engsten Vertrauten geworden. Oh, wie hatte er ihr doch geholfen, sich auf diesen wunderbaren Tag vorzubereiten. Er hatte sie hinweg getröstet über ihre schier unerträgliche Sehnsucht und Einsamkeit. Wieviel Geduld hatte er dabei bewiesen, ihr den Geliebten und seinen Liebesbrief deutlich zu machen. Natürlich hatte sie auch Zweifel und Unglauben, aber sie konnte damit ganz offen zu ihm kommen, und er zeigte ihr dann jedesmal den herrlichen Liebesbrief.

Mehr und mehr verstand sie die Worte des Briefes, und sie drangen in ihr Herz. Auch ließ sie sich seine Worte nicht mehr durch Zweifel und Lügen rauben. Fiel sie in ihr altes Leben zurück, wies sie der Freund liebevoll aber bestimmt darauf hin und zeigte ihr den Weg zurück. Ihr herrliches, weißes Kleid zog sie nie mehr aus. Beschmutzte sie es, dann machte der Freund sie darauf aufmerksam, daß sie es durch das Blut des Bräutigams wieder reinwaschen konnte. „Ich gehöre Dir, Jesus mein Geliebter, der Schatz für den ich lebe!“ wurde das Lied ihres Lebens.

Immer ähnlicher wollte sie ihrem Geliebten werden, und der Freund half ihr dabei. Wie schätzte, achtete und vertraute sie ihm. Niemand kannte ihren Bräutigam besser als dieser Freund. Er lehrte sie Tag und Nacht, badete, reinigte, heilte und salbte sie. Es war so leicht; wenn man seinen Rat befolgte, erwies er sich immer als richtig – ganz gleich, um was es sich handelte. Wie dankbar war sie ihm!

Jetzt konnte sie nichts mehr zurückhalten. Die unaussprechlich schöne, herrliche Braut flog in die Arme ihres Bräutigams. Überglücklich übersäte er sie mit Küssen. Die Hochzeitsfeier begann …

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung dem Rundbrief des Glaubenszentrums in Bad Gandersheim 6/99 entnommen.