Power-Walking

Die Autorin dieses Artikels, Frau Gertraud Brandstetter ist 55 Jahre alt, seit 32 Jahren geschieden, lebt allein und ist von Beruf Verwaltungsbeamte.
Frau Brandstetter lebt in Linz, Oberösterreich

Streß und Spannungen ablaufen

Mein Leben hatte sich vor mehr als 10 Jahren grundlegend geändert, aber im Laufe der Zeit schlichen sich doch wieder alte Sorgen und depressive Phasen ein. Während eines heißen Sommers war meine psychische Verfassung besonders schlecht. Die Hitze zwang mich, in der sonnengeschützten, abgedunkelten Wohnung zu bleiben. Mein Tagesablauf: essen, trinken, fernsehen, schlafen. Ich sank unter diesen Umständen noch tiefer in die Depression und mein Übergewicht nahm bedenkliche Ausmaβe an.

Am Ende dieses Sommers – es lag noch eine Woche Urlaub vor mir – hatte ich das grosse Bedürfnis nach Bewegung. Längere Wanderungen wollte ich aber allein nicht unternehmen und ich fand keinen Mitwanderer.
Auf einem Bücherflohmarkt habe ich ein kleines Büchlein über “Fitness für Frauen” entdeckt. An Joggen war bei meinem Gewicht nicht zu denken, Schwimmen zu zeitaufwendig – Gehen aber schien mir sehr interessant und eigentlich immer durchführbar. Also habe ich angefangen zu „trainieren“. Ich brauche dafür auch keinen Partner, der mit mir das Programm durchzieht, denn nur ich allein konnte das Tempo und die Distanz bestimmen.

Heraus aus dem Tief

Meine Wohnung liegt am Stadtrand unmittelbar an einem Park, an den sich der Wald anschließt. Ich habe angefangen, möglichst regelmäβig, täglich oder wenigstens an fünf Tagen pro Woche meine Trainingsrunden zu ziehen.
Die “Trainingsrunden” sind mittlerweile fixer Bestandteil meines Wochenprogramms geworden. Wenn irgend möglich, ziehe ich los – direkt in den Wald und manchmal quillt mir das Herz über vor Freude, vor Dankbarkeit. Ich kann beim Gehen Gott loben und preisen, ich kann beten, ich kann ihm sagen, was mich bewegt. Und immer wieder erlebe ich, dass beim Power-Walking eine traurige Stimmung verfliegt, Ärger verschwindet und die Dinge des Alltags wieder in die richtige Perspektive rücken.

Die körperliche Anstrengung  – ich gehe sehr schnell – gibt mir Kraft! Und nie fühle ich mich bei meinem Training einsam. Ich treffe viele Spaziergänger, und manchmal wechsle ich ein paar Sätze mit einer alte Frau, die dort im Gemüsegarten arbeitet. Ich fühle mich aber auch nicht allein, wenn ich niemandem begegne, denn ich weiß, dass Gott mit mir geht.

Je nach den Gegebenheiten ändere ich meine Route; manchmal habe ich weniger Zeit; oft ist es schon zu dunkel, um noch in den Wald zu gehen; oder es regnet und ich muss auf der Straβe bleiben. Doch jeden Tag kann ich Neues entdecken, jeden Tag sieht der Wald anders aus; ich höre die Eichhörnchen am Boden rascheln, nehme den Gesang der Vögel wahr, sehe die Vielfalt der Pilze und betrachte, wie die Blätter sich färben. Ich verfolge das Wachsen und Reifen, wirbele den dicken Laubteppich auf und freue mich über den ersten Schnee. Kälte und Regen können mich nicht vom Gehen abhalten. Das erste zarte Grün im Frühling, die volle Blütenpracht, der pralle Sommer ….. noch nie in meinem Leben hatte ich die Muße, so regelmäßig Gottes Schöpfung zu betrachten, zu erleben und zu bewundern. Ich freue mich täglich auf diese Zeit.

Auch etwas für Sie?

Wenn auch Sie sich auf das positive Abenteuer „Power-Walking“ einlassen wollen, möchte ich Ihnen ein paar Tipps weitergeben:

Beginnen Sie mit einer Strecke von ca. 1,5 km, vorzugsweise Wald- oder Wiesenwege, oder auf einem Sportplatz, in einem Park. Steigern Sie diese Geschwindigkeit von Woche zu Woche. Für mich waren krampf­ähnliche Spannungen am Schienbein oder in der Wade immer der Maβstab, dann war ich zu schnell. Trachten Sie danach, dass es immer ein angenehmes Empfinden ist. Sie dürfen keine Schmerzen verspüren.

Bald werden Sie ein Gefühl für die richtige Geschwindigkeit bekommen, die natürlich auch von Ihrer Tagesverfassung abhängig ist. Wenn Sie reglmäßig „trainieren“ können, fällt Ihnen Ihre Runde sicherlich leichter, als wenn Sie nur ab und zu gehen.

Wenn Ihr Weg eine Steigung enthält, beginnen Sie mit mäßiger Geschwindigkeit. Machen Sie Halt, wenn Ihnen die Luft ausgeht und der Puls zu sehr rast. Atmen Sie ein paar Mal tief durch und gehen Sie dann wieder weiter, damit Ihr Körper nicht abkühlt. Betreiben Sie dieses Fitnessprogramm nicht als Hochleistungssport! Nach einiger Zeit werden Sie Lust darauf haben, Ihre “Trainingsrunde” zu verdoppeln und später zu verdrei­fachen oder suchen Sie sich einen anderen, längeren Weg zu suchen.

Ganz wichtig für Ihr Training ist ordentliches Schuhwerk (guter Halt, keine Absätze) und bequeme Kleidung, die den Schweiβ gut aufsaugen kann. Sie werden bald entdecken, dass Sie sich weder zu leicht noch zu warm anziehen sollten. In jedem Fall wird es gut sein, wenn Sie Ihren Arzt von Ihren Absichten informieren.

Wo die Zeit hernehmen?

Es ist so wichtig, dass sich unser Trainingsprogramm in den normalen Alltag integrieren lässt. Ich freue mich täglich auf diese Zeit. Es kommt nur selten vor, dass ich mehrere Tage hintereinander nicht „trainiere“ – und wenn, dann vermisse ich mein Training sehr, sowohl geistlich als auch körperlich. Woher ich diese Zeit nehme? Sicherlich kann ich meine Freizeit weitgehend selbst bestimmen. Aber ich habe auch entdeckt, dass ich im Anschluss an meine Trainingsrunden die Hausarbeit viel aktiver erledigen kann. In den Stunden, die mir am Abend bleiben, bin ich produktiver, „gammle“ nicht mehr so herum und fühle mich weniger unter Zeitdruck. Und ganz nebenbei unterstützt der Kalorienverbrauch meine Gewichtsreduktion.

Ich weiß dass Gott mir diese Zeit geben will, dass ich sie mir also nehmen darf – es ist einfach ein Geschenk.

Aus Lydia – die christliche Zeitschrift für die Frau, Heft 4/99. Mit freundlicher Genehmigung.